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3. Der Kalkül BL$^{\vdash }$


Unterabschnitte

Ein weiterer Ausbau der Begriffslogik kann nun auf Zusammenhänge führen, wie sie etwa in der folgenden Übersicht (Abb. 1) dargestellt sind. Die Spitzen der durchgezogenen Pfeile zeigen jeweils auf die durch Hinzufügen von Axiomen entstandenen, stärkeren Kalküle. Unterbrochene Linien deuten auf einen eigens zu beweisenden Zusammenhang.

\begin{figure}
\par\begin{center}
\par\setlength {\unitlength}{\baselineskip}\pa...
...logik}
\par\put(22,1){Abb. 1}
\end{picture}
\par\end{center}
\par\end{figure}

Wir werden im folgenden die einzelnen Kalküle kurz beschreiben und auch einige jeweils charakteristische Sätze angeben.


Der bisher gewonnene begriffslogische Kalkül BL zeigt noch einige Schwächen: z.B. kann man die Regel
$a \leq b$, $a \not\leq c$  $\vdash$  $b
\not\leq c$    hier nicht beweisen. Dieser Mangel wird behoben, indem man axiomatisch einen Zusammenhang zwischen der Ableitbarkeitsbeziehung   $\vdash$   und der Kalkül-internen Beziehung   $\leq$   herstellt: Unter bestimmten Bedingungen soll es zu jedem Beweis


$A$, $B$, ... $\vdash$ $K$       eine beweisbare Formel
     
$A \cdot B \cdot$ ... $\leq$ $K$       geben und umgekehrt.


Diese Forderung erinnert sehr an die Art und Weise, wie in den Gentzenschen ,,Kalkülen des natürlichen Schließens`` die Implikation ,,eingeführt`` wird und ebenso an das aus der Aussagenlogik bekannte sog. ,,Deduktions-Theorem``.


Es folgen die den neuen Kalkül  BL$^{\vdash }$  kennzeichnenden Axiome in zweifacher Darstellung:



BL$^{\vdash }$ $\vdash$ a Deduktions-Regel   
      
  $\begin{array}{c}\infer{A_{\rm 1} \cdot A_{\rm 2} \cdot \ldots \cdot A_{\rm n}
\...
..._{\rm 2})\;\;
\ldots \;\; (A_{\rm n})}\end{array}\right)\end{array}}\end{array}$   $\begin{array}{c}\infer{A_{\rm 1} \cdot A_{\rm 2} \cdot \ldots \cdot A_{\rm n} \leq
B}{A_{\rm 1}, A_{\rm 2}, \ldots A_{\rm n} \vdash B}\end{array}$


  $\vdash$ b Abtrennungs-Regel   
      
  $\begin{array}{c}\infer{B}{A_{\rm 1}, A_{\rm 2}, \ldots A_{\rm n} & A_{\rm 1}
\cdot A_{\rm 2} \cdot \ldots \cdot A_{\rm n} \leq B}\end{array}$   $\begin{array}{c}\infer{A_{\rm 1}, A_{\rm 2}, \ldots A_{\rm n} \vdash B}{A_{\rm 1}
\cdot A_{\rm 2} \cdot \ldots \cdot A_{\rm n} \leq B}\end{array}$


$\vdash$  a  ist zu lesen als: Ist aus den Annahmen A$_{\rm {1}}$ bis A$_{\rm {n}}$ die Formel B abgeleitet, so gewinnt man unter ,,Beseitigung`` dieser Annahmen (das deutet die Klammerung der A$_{\rm 1}$ bis A$_{\rm n}$ an) die nun im Kalkül ableitbare Formel  A $_{\rm {1}}\cdot$A $_{\rm {2}}\cdot$... $\cdot$A$_{\rm {n}}$  $\leq$  B; oder anders: Aus dem Beweis  A$_{\rm {1}}$, A$_{\rm {2}}$, ...A$_{\rm {n}}$  $\vdash$  B   gewinnt man die Formel  A $_{\rm {1}}\cdot$A $_{\rm {2}}\cdot$...$\cdot$A$_{\rm {n}}$  $\leq$  B.


$\vdash$  b  lautet auf Deutsch: Aus A$_{\rm {1}}$, A$_{\rm {2}}$, ... A$_{\rm {n}}$ sowie  A $_{\rm {1}}\cdot$A $_{\rm {2}}\cdot$... $\cdot$A$_{\rm {n}}$  $\leq$  B ist B ableitbar; oder: Aus der Formel  A $_{\rm {1}}\cdot$A $_{\rm {2}}\cdot$...$\cdot$A$_{\rm {n}}$  $\leq$  B   gewinnt man die Ableitung, den Beweis, die Regel  A$_{\rm {1}}$, A$_{\rm {2}}$, ...A$_{\rm {n}}$  $\vdash$  B.


(Hierbei gelte die Einschränkung: Jede der Formeln A$_{\rm {1}}$ bis A$_{\rm {n}}$ sowie B sei von der Gestalt   $x \leq y$,   $x = y$,   $x
\not\leq y$ (für $\overline {x \leq y}$)   oder   $x \not = y$ (für $\overline{x = y}$).

Diese Einschränkung ist nur nötig, wenn man an der Unterscheidung von Urteils- und Begriffslogik unter dem Gesichtspunkt ,,Alle Verknüpfungszeichen sind Beziehungszeichen / Nicht alle Verknüpfungszeichen sind Beziehungszeichen`` interessiert ist; siehe Abschnitt 2.10 )

3.1 Bemerkungen zur Deduktionsregel

Tritt in einer der Prämissen A$_{\rm {1}}$ bis A$_{\rm {n}}$ die Variable (der Index) $x$ frei auf und wurde die Konklusion B unter Verwendung der Variablen-Bedingung $x$NF... erschlossen, so ist dieses $x$ in der Formel A $_{\rm {1}}\cdot$A $_{\rm {2}}\cdot$...$\cdot$A$_{\rm {n}}$  $\leq$  B durch $\prod_{\rm {x}}$ zu ,,binden``; z.B.:


\begin{displaymath}\begin{array}{c}\infer[\vdash {\rm a;~}a_{\rm i} \leq b~{\rm ...
...q b}{a_{\rm i} \leq b}\end{array}\right)\end{array}}\end{array}\end{displaymath}

Fordert man für die Anwendung der Deduktionsregel  $\vdash$ a, daß Variablen (Indizes) in A$_{\rm {1}}$ bis A$_{\rm {n}}$ und B nur nichtfrei auftreten dürfen, dann sind Formeln wie    $\prod_{\rm {i}}{(a_{\rm {i}} \leq
b)}$  $\leq$   $(\sum_{\rm {i}}{a_{\rm {i}}} \leq b)$   anscheinend erst in BL $_{\rm {u'}}^{\vdash}$ (Abschnitt 3.4) beweisbar.

3.2 Beweise

Wie die neuen Regeln arbeiten, zeigt exemplarisch der folgende Beweis für $a \leq b$, $a \not\leq c$  $\vdash$  $b
\not\leq c$:


1 $a \leq b$, $b \leq c$  $\vdash$  $a \leq c$ Grundregel  5
2 ($a \leq b$) $\cdot$ ($b \leq c$)  $\leq$  ($a \leq c$) $\vdash$ a  aus  1
3 ($a \leq b$) $\cdot$ ($a \not\leq c$)  $\leq$  ($b
\not\leq c$) nach Satz 1) aus  2
4 $a \leq b$, $a \not\leq c$  $\vdash$  $b
\not\leq c$ $\vdash$ b  aus  3



3.3 Weitere Abkömmlinge

Die weiteren im Diagramm (Abb. 1) vorkommenden ,,Abkömmlinge`` von BL$^{\vdash }$ entstehen durch die Zusätze:


BL$_{2}^{\vdash}$ 0/1 $a \not\leq 0$  $\dashv\vdash$  $1 \leq a$ (bzw. $a \not = 0$  $\dashv\vdash$  $a = 1$)
BL $_{\rm {m}}^{\vdash}$ m $1 \leq A$  $\vdash$  $A$  
BL $_{\rm {u}}^{\vdash}$ u $1 \leq A$  $\dashv\vdash$  $A$  
BL$_{1}^{\vdash}$ s $\vdash$  $1 \leq 0$

 


Es soll erinnern

m
an modal, weil dieser Kalkül in erster Linie als Modallogik gedeutet werden kann: $1 \leq A$ als ,,A ist notwendig`` etc.

u
an Urteilsprinzip, Urteilslogik:   $1 \leq A$   ist hier zu lesen als ,,A ist wahr``, ,,A gilt`` o.ä.

s
an singulär, da hier mit   $1 \leq 0$   alle Begriffe auf einen einzigen sich zusammenziehen.


3.4 Allgemeine Bemerkungen

1)
Bei den Kalkülen BL $_{\rm {m'}}^{\vdash}$ und BL $_{\rm {u'}}^{\vdash}$ dürfen die Regeln  m  bzw.  u  nur auf Formeln  A  angewandt werden, die mindestens ein Beziehungszeichen   $\leq$   oder   $=$   enthalten. Dies eröffnet die Möglichkeit, Terme wie Begriffe im allgemeinen Sinn (also gemäß VBV bis BL$^{\vdash }$) zu behandeln, Beziehungen jedoch wie echte Urteile (also gemäß BL $_{\rm {m}}^{\vdash}$ bzw. BL $_{\rm {u}}^{\vdash}$).

Zum Beweis etwa des für die Begriffe $a$, $b$ und $x$ im allgemeinen Sinne zu lesenden Satzes
   $x$NF$( a \leq b )$  $\vdash$   $\prod_{\rm {x}}{(( x \leq a ) \leq ( x \leq
b ))}$  $=$  $( a \leq b )$   benötigt man das in der beschriebenen Weise eingeschränkte Urteilsprinzip u'.

2)
Auch den Kalkül BL $_{\rm {m}}^{\vdash}$ kann man urteilslogisch deuten im Sinne von:   $1 \leq A$   bedeute ,,A ist wahr`` etc. Es gilt dann jedoch nicht: Aus ,,A ist nicht wahr``    $( 1 \not\leq A )$   folgt ,,A ist falsch``   $( A \leq 0 )$.

3)
Im allgemeinen kann man die Ausdrücke, Axiome, Theoreme etc. eines beliebigen Kalküls im Sinne eines spezielleren, d.h. stärkeren Kalküls deuten. So kann etwa   $1 \leq a$, $a \leq b$  $\vdash$  $1 \leq b$

a)
verbandstheoretisch als ,,$1$ liegt unter $a$, $a$ liegt unter $b$, also liegt $1$ unter $b$``,

b)
begriffslogisch als ,,Alles ist $a$, alle $a$ sind $b$, also ist alles $b$``,

c)
modallogisch als ,,$a$ ist notwendig; wenn $a$, dann $b$; also ist $b$ notwendig``,

d)
urteilslogisch als ,,$a$ ist wahr; wenn $a$, dann $b$; also ist $b$ wahr`` u.ä.

aufgefaßt werden.

Die Umkehrung gilt jedoch i.a. nicht: Die urteilslogisch beweisbare Formel    $a \leq ( b \leq a )$   ergibt z.B. verbandstheoretisch keinen Sinn.

4)
Nur am Rande erwähnt sei hier der Kalkül BL $_{\rm {a}}^{\vdash}$ (a wie 'atomar' oder 'Angewandte' im Gegensatz zur sog. 'Reinen' Begriffslogik). Er besitzt ein Axiom, das fordert, es möge unter jedem von 0 verschiedenen Begriff mindestens ein Individual-Begriff liegen. Dabei gilt für jeden Individual-Begriff  $a^{I}$  folgendes:


I1 $\vdash$   $a^{I} \not\leq 0$
I2 $b \leq a^{I}$, $b \not\leq 0$  $\vdash$  $a^{I} \leq b$


Kurz: Ein Individual-Begriff ist nicht widersprüchlich (0 heißt auch der widersprüchliche Begriff, wegen  $\vdash$   $a\overline{a} = 0$ in VBV) und läßt sich nicht weiter in Unterarten aufteilen, spezialisieren. In den Kalkülen VBV bis BL$^{\vdash }$ braucht es keine Atome / Individual-Begriffe (kurz: Individuen) zu geben.

3.5 Sätze

Es folgt eine kleine Sammlung von nicht notwendigerweise unter dem Gesichtspunkt der ,,Wichtigkeit`` ausgewählten Sätzen, die aus den zuletzt eingeführten Axiomen beweisbar sind:

BL$_{2}^{\vdash}$

4)
$ab \leq 0$, $a \not\leq 0$  $\vdash$  $b \leq 0$

5)
$ab \not\leq 0$  $\vdash$  $a = b$

6)
$a \not\leq b$  $\vdash$  $b \leq a$, $a = \overline{b}$

7)
$\vdash$   $1 \leq ( a \leq b ) + ( b \leq a )$

8)
$a \not\leq b$  $\dashv\vdash$  $1 \leq a$, $b \leq 0$


BL $_{\rm {u}}^{\vdash}$

9)
$\vdash$   $( A \leq B ) = ( \overline{A} + B )$

10)
$\vdash$   $A+\overline{A}$

11)
$AB \leq C$  $\dashv\vdash$   $A \leq ( B \leq C )$

12)
$\vdash$   $( A \leq B ) + ( B \leq A )$

13)
$A \not\leq 0$  $\dashv\vdash$  $1 \leq A$

Für Individual-Begriffe gilt:

I1)
$a^{I} \not\leq b$  $\dashv\vdash$   $a^{I} \leq \overline{b}$

I2)
$a^{I}b \not\leq 0$  $\dashv\vdash$  $a^{I} \leq b$

Satz 8) beleuchtet die Situation, in der eine materiale Implikation falsch ist: Vordersatz wahr, Hintersatz falsch.

Satz 7) bzw. 12) bildet den Hintergrund der sog. ,,Paradoxien der Materialen Implikation``: Von zwei Aussagen impliziert die eine die andere oder die andere die eine.

Satz 9) drückt eine bekannte Umformung der Implikation aus.

Die Sätze I1) und I2) drücken den Umstand aus, daß bei individuellem Subjekt jeweils universelles und partikuläres Urteil zusammenfallen. Dies könnte man als Auflösung der mittelalterlichen Streitfrage betrachten, ob die singulären Urteile zu den universellen oder zu den partikulären zu rechnen seien.


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Andreas Otte
1998-09-20