next up previous
Nächste Seite: 5. Zur Geschichte der Aufwärts: 4. Beispielanwendungen Vorherige Seite: 4.4 Der Klassenkalkül

4.5 Zusammenfassung


In diesem Kapitel wurde eine rein formale Unterscheidung zwischen nicht-logischen und logischen Kalkülen verwendet. Nicht-logische Kalküle sind gekennzeichnet durch eine strikte Trennung zwischen Formeln und Termen, zwischen Beziehungszeichen und Verknüpfungszeichen. Die Mengenlehre ist eine Anwendung eines nicht-logischen Booleschen Verbandes, denn wenn $X$ und $Y$ Mengen sind, dann ist $X \subseteq Y$ keine Menge, sondern eine Teilmengenbeziehung, die nicht wieder als Menge interpretiert werden kann. Die Mengenlehre läßt sich daher in den Bereich der Kalküle BV$^{=}$ bzw. BV $^{\sqsubseteq}$ einordnen.

Logische Kalküle sind dadurch gekennzeichnet, daß Formeln wie Terme behandelt werden dürfen, d.h. daß Beziehungszeichen auch Verknüpfungszeichen sind. Das erlaubt in diesen Kalkülen Ausdrücke der Form $( a \leq b ) \leq ( a \leq a + b )$. Dieses macht Sinn, denn eine Beziehung zwischen zwei Begriffen kann als ein Beziehungsbegriff interpretiert werden, ist damit wieder ein Begriff, und eine Implikation zwischen zwei Urteilen ist wiederum ein Urteil.

Der Kalkül BL ist eine einfache Variante eines logisch interpretierten Booleschen Verbandes, denn er erweitert nur die Möglichkeiten der formalen Sprache gegenüber dem nicht-logischen Booleschen Verband, nicht jedoch die Axiomatik. Erst der Kalkül BL$^{\vdash }$ erweitert dann auch die Axiomatik, indem er eine Verbindung zwischen der Unterordnung und der Ableitungsbeziehung herstellt. Im Kalkül BL$^{\vdash }$ ist dann auch bereits ein Verknüpfungszeichen zum Beziehungszeichen geworden, nämlich die Negation. Die Urteilslogik (hier Aussagenlogik), eine spezielle Begriffslogik durch Hinzufügung des Urteilsprinzips als weiteres Axiom, ist dadurch gekennzeichnet, daß dort alle Verknüpfungszeichen auch zu Beziehungszeichen geworden sind, bzw. daß alle Terme auch wie Formeln behandelt werden dürfen. Das erlaubt Formeln der Form ,,$A$`` oder ,,$A \wedge B$``, die alleinstehend in der Begriffslogik im allgemeinen keinen Sinn ergeben.


Die Venn-Diagramme stehen irgendwo neben dieser Kalkülhierachie. Einerseits basieren sie auf dem Kalkül BV $^{\sqsubseteq}$, andererseits verfügen sie mittels der Sternung über die Möglichkeit der Behandlung negierter Unterordnungen. Die Venn-Diagramme bieten keine Möglichkeit, Beziehungsbegriffe zu behandeln, weshalb die Anwendung der Diagramme auf den Kalkül BL auf eine logische Interpretation des Kalküls BV $^{\sqsubseteq}$ beschränkt bleibt. Aus dem Kalkül BV $^{\sqsubseteq}$ läßt sich jedoch der Kalkül BV $^{\sqsubseteq,
\not\sqsubseteq}$ bzw. BV $^{\leq, \not\leq}$ entwickeln, der als zusätzliche Axiome die mittels inkonsistenter Triade bzw. Kontraposition veränderten Grundregeln des Kalküls BL enthält. Dieser Kalkül entspricht ziemlich genau den Möglichkeiten der Venn-Diagramme. Der Kalkül BL$^{\vdash }$ bietet ebenfalls die negierte Unterordnung, überschreitet jedoch die Möglichkeiten von BV $^{\leq, \not\leq}$.

Die Aussagenlogik ist wiederum eine Spezialisierung des Kalküls BL$^{\vdash }$ zu BL$^{\vdash}_{u}$, nämlich durch Hinzufügung des Urteilsprinzips. Wird dieses Prinzip vom Nutzer der Diagramme von Hand angewendet, so kann auch die Aussagenlogik in Venn-Diagrammen behandelt werden. Durch die Äquivalenz von ,,Formeln`` und ,,Termen`` ist auch wieder die gesamte Behandlung des formalen Sprachaparates möglich, denn geschachtelte Implikationen können in einfache Implikationen überführt werden. Auch dieses hat durch den Nutzer der Diagramme zu erfolgen.

Denkbar ist auch ein gemischter Begriffs- und Urteilslogischer Kalkül, in dem das Urteilsprinzip nur auf Beziehungsbegriffe angewendet werden darf. Dieser Kalkül, genannt BL $^{\vdash}_{u'}$, ist eine Synthese von Begriffs- und Urteilslogik.


Insgesamt läßt sich feststellen, daß die Venn-Diagramme eine brauchbare Methode darstellen, den Bereich der Booleschen Verbände zu bearbeiten. Den Mangel in der Behandlung von Beziehungsbegriffen in der Begriffslogik kann man verschmerzen, denn die ,,klassische`` Begriffslogik bietet eigentlich keine formalen Mittel an, solche Ausdrücke auch nur geeignet aufzuschreiben, geschweigedenn zu behandeln.


Ganz deutlich sei hier auch noch einmal daraufhingewiesen, daß mit Venn-Diagrammen allgemeine, d.h. nicht etwa nur zweiwertige, Boolesche Verbände behandelt werden können. Es ist eine beliebte Geisteshaltung, Boolesche Verbände auf zweiwertige zu beschränken.


next up previous
Nächste Seite: 5. Zur Geschichte der Aufwärts: 4. Beispielanwendungen Vorherige Seite: 4.4 Der Klassenkalkül
Andreas Otte
1998-11-22