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7. Aufgaben und Fragen


Weitere Bemerkungen und Problemstellungen, die sich aus der begriffslogischen Betrachtungsweise ergeben:

1)
Welchen Kalkül soll man verwenden?

Das hängt von der Problemlage ab. Ist man nicht in erster Linie an logischer Analyse interessiert (etwa bei der Untersuchung mathematischer Beweise oder bei der Entwicklung eines (halb-)automatischen Beweisers, der nicht in erster Linie logische Sätze beweisen soll), so wird man i.a. einen möglichst starken Logik-Kalkül verwenden. In allen anderen Fällen der Analyse argumentierender Texte (etwa Mathematik, Recht, Philosophie etc.) empfiehlt es sich, zunächst möglichst schwache Kalküle zu verwenden und diese dann bei Bedarf zu verstärken. So kann man genau angeben, wo verbandstheoretisch, wo begriffslogisch oder sogar urteilslogisch o.ä. geschlossen wurde.

Aufgabe: Beleuchte die Antinomien (die neueren und die schon in der Antike bzw. Scholastik (,,insolubilia``) bekannten) begriffslogisch. Der ,,Lügner`` in der Form ,,Dieser Satz ist falsch`` z.B. führt auf die Formel    $L = ( L = 0 )$, deren Negation in BL $_{\rm {u}}^{\vdash}$ beweisbar ist.

2)
Vergleiche Verbandstheorie und Begriffslogik: Suche verbandstheoretische Lösungen für begriffslogische Probleme, verwende letztere zur Formulierung verbandstheoretischer Begriffsbildungen etc., suche Entsprechungen: Individual-Begriff, Begriffs-Inhalt, Begriffs-Umfang z.B. entspricht Atom, Filter, Ideal in der Verbandstheorie.

3)
Vergleiche die Probleme der mathematischen Grundlagenforschung, der Mathematischen Logik, Modelltheorie, Mengenlehre etc. mit der Begriffslogik: studiere z.B. verbandstheoretisch/begriffslogisch ,,aufbauende`` Kalküle (nach Art der Gentzenschen Sequenzenkalküle) und beweise entsprechende ,,Schnitt``-Eliminationssätze (,,Schnitt``-Regel: eine verallgemeinerte Transitivitätsregel); cf. Punkt 1 ).

4)
Welche Beziehungen bestehen zur Informatik und Linguistik?

Formale Sprachen; Verhältnis: Logische - grammatische Operationen; Strawsons Problem der Subjekt- und Prädikat-Operationen; die Diskussion über die verschiedenen Bedeutungen von ,,ist`` (cf. Gipper, Stegmüller). Systematik der logischen Beziehungen und Verknüpfungen führt zur Revision der Kantschen sog. Urteilstafel.

5)
Historische Problemstellung: Wer dachte wann wie?

D.h. bei welchen Autoren finden sich begriffslogische bzw. urteilslogische Betrachtungsweise? Rein oder in Mischform?

Ähnliche Fragestellungen hat man auch auf anderen Gebieten: Wer vertrat eine Korpuskular-, wer eine Wellentheorie des Lichtes unter den älteren Physikern (Newton, Huygens)? Wer vertrat ein heliozentrisches, wer ein geozentrisches Weltbild (Kopernikus,Ptolemäus)? Mischform: Tycho Brahe.

Wer rechnete in der Frühzeit der Analysis mit unendlich-großen und unendlich-kleinen Zahlen, wer dagegen nur mit finiten Größen bzw. Grenzwerten (etwa im Sinne der Nonstandard- bzw. Standard-Analysis; cf. Lakatos: Beweise und Widerlegungen, Spalt: Vom Mythos der mathematischen Vernunft)? Gab es Mischformen etc.?

In diesem Sinne wären die neueren Werke zur Geschichte der Logik, die m.W. alle die urteilslogische, ,,moderne`` Position als einzig mögliche betrachten, einer Durchsicht zu unterziehen (etwa Bochenski, Scholz, Lukasiewicz u.a.); es wäre zu prüfen, inwiefern sie nicht vielleicht den Quellen Gewalt antun. Ph. Boehner etwa versucht in seiner Arbeit: Did Occam know of Material Implikation? (Fransiscan Studies?) diese Frage positiv zu beantworten. Die Tatsache jedoch, daß in scholastischen Texten mit Hilfe von verum (1) und falsum (0) argumentiert wird, reicht dafür noch nicht aus; es muß gezeigt werden, daß es sich in dem betreffenden Falle um typisch urteilslogische (BL $_{\rm {u}}^{\vdash}$) und nicht lediglich begriffslogische oder noch allgemeinere Schlußweisen handelt.

Man könnte eine Ahnenreihe sowohl der Begriffslogik als auch der Urteilslogik aufzustellen und im Falle von Mischformen sauber zwischen den jeweiligen Anteilen zu trennen suchen.

Insbesondere Leibniz setzt eindeutig begriffslogisch an. Er scheint den Übergang zur Urteilslogik zu kennen, denn es findet sich bei ihm eine Formel    $A = ( A~est~vera )$, die dem BL $_{\rm {u}}^{\vdash}$-Theorem
$A = ( A = 1 )$   entspricht (cf. Kauppi: Über die Leibnizsche Logik. Helsinki 1960, S. 169ff). Gelegentlich unterlaufen ihm Fehler, die dann später anscheinend dem begriffslogischen Ansatz angelastet wurden oder der von Leibniz geschätzten inhaltslogischen Deutung von Begriffsbeziehungen und Verknüpfungen (noch Schröder sucht die Unhaltbarkeit einer Inhaltslogik darzutun - Inhalt bzw. Umfang eines Begriffes: Gesamtheit seiner Gattungen bzw. Arten - und Bolzano glaubt Gegenbeispiele gegen die sog. Inhalts-Umfangs-Relation zu haben, d.h. gegen die Behauptung, daß der Begriff mit dem umfassenderen Inhalt den weniger umfassenden Umfang besitzt und umgekehrt; cf. Menne Einführung in die Logik). Leibniz scheint partikuläre und universelle Urteile in zu enger Verwandschaft zu sehen.

Dies scheint u.a. zu zwei Fehlern zu führen:

Um aus einem Umfangsdiagramm für ,,Alle $a$ sind $b$`` das zugehörige Inhaltsdiagramm zu machen, muß man nur   $a$   und   $b$   vertauschen. Diese Beobachtung überträgt Leibniz nun auf das partikuläre ,,Einige $a$ sind $b$``. Da das Diagramm aber symmetrisch ist, ergibt sich keine Veränderung. Tatsächlich unterscheiden sich jedoch die beiden Diagramme (cf. Generales Inquisitiones, Ed. Schupp, S. 90f), das Inhaltsdiagramm ist jedoch im Gegensatz zum Umfangsdiagramm intuitiv nicht sehr einleuchtend.

Auf der Kalkül-Ebene möchte Leibniz ,,Einige $a$ sind $b$`` als universelles Urteil mit eingeschränktem Subjekt auffassen, etwa als   $ay \leq b$. Damit kann man zwar schön subalternieren, wegen   $a \leq b$  $\vdash$  $ay \leq b$, aber beim Negieren gibt es Schwierigkeiten, es ergeben sich nicht die erwünschten Oppositionen des sog. Urteilsquadrates. Aus dem folgenden in BL$^{\vdash }$ bzw. BL $_{\rm {u'}}^{\vdash}$ geltenden Satz ergibt sich, was alles an der Leibnizschen Formel fehlt:


\begin{displaymath}y{\rm NF}a, y{\rm NF}b~~\vdash~~( ab \not\leq 0 ) = \sum_{\rm {y}}{( ( ay \leq b ) \; ( ay \not\leq 0 ) )}\end{displaymath}

Auch die Kantische Definition analytischer und synthetischer Urteile, die Vorläufer in der Scholastik und bei Leibniz und Wolff hat, sollte einer begriffslogischen Prüfung unterzogen werden.

6)
Man studiere Varianten der in Abb. 1 dargestellten Kalkülhierachie: Dazu läßt man irgendwelche Teile von VBV weg, ersetzt sie durch andere o.ä. Stets ergibt sich jedoch der Drei-Schritt: (Noch-)nicht-Logik, Begriffslogik, Urteilslogik (einige der Zusatzaxiome müssen vielleicht in manchen Fällen ,,sinngemäß`` abgeändert werden).

Insbesondere bieten sich hier als Ausgangspunkt Kalküle an, die dann etwa eine Logik ohne Negation, eine mit intuitionistischer Negation, eine Quantenlogik o.ä. liefern.

Gelegentlich wird auch angenommen, die booleschen Eigenschaften der Negation wie    $\overline{\overline{a}} \leq a$,
   $a + \overline{a} = 1$   u.ä. hingen von der Zweiwertigkeit ab; das ist jedoch nicht der Fall; diese Annahme dürfte urteilslogischer Denkweise entspringen.

7)
Vergleiche Modallogiken, Normlogiken u.ä. (die sich meist auf APL stützen und durch Zusatz besonderer Operatoren und zugehöriger Axiome entstehen) sowie Systeme der sog. Strikten Implikation (cf. Lewis, Ackermann) mit obigen Kalkülen VBV, BL$^{\vdash }$ etc.

Allgemeiner:   Leite jeden (?) bekannten Logik-Kalkül in dem Sinne her, daß ein Startkalkül K angegeben wird, der einen mit dem betreffenden Kalkül gleichwertigen Abkömmling besitzt, etwa K $_{\rm {u}}^{\vdash}$ o.ä.; cf. Punkt 6). Ist der Klassenkalkül (nach Hilbert-Ackermann: Grundzüge der Theoretischen Logik) äquivalent mit BL $_{\rm {u'}}^{\vdash}$ ?

8)
Studiere weitere ,,gemischte`` Kalküle (wie etwa BL $_{\rm {u'}}^{\vdash}$, BL $_{\rm {m'}}^{\vdash}$), bei denen jeweils verschiedene Sorten von Ausdrücken verschiedenen Kalkülen unterliegen. Kann man zwei ganz beliebige Kalküle ,,mischen``?

Man könnte sich auch grundsätzlich in einem sehr allgemeinen Kalkül aufhalten, jedoch bestimmte Begriffe ,,höherer Stufe`` bzw. ,,Kategorien`` einführen, wie etwa ,,Begriff``, ,,Urteil``, ,,Individual-Begriff``, ,,Zweiwertig`` o.ä., so daß man bezüglich der Beweisbarkeit gewisser Formeln oder Regeln jeweils die entsprechenden ,,Kategorien`` angeben müßte, z.B.


Urteil($a$), Urteil($b$)  $\vdash$   $a \leq ( b \leq a )$      oder

Zweiwertig($a$), Zweiwertig($b$), $ab \not= 0$  $\vdash$  $a = b$      etc.

9)
Schließe Schröders ,,Algebra der binären Relative`` (Algebra der Logik, Bd. III) an den Kalkül VBV, BL, BL$^{\vdash }$ etc. an (cf. Peirce, Tarski, Dedekinds Kettentheorie).


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Andreas Otte
1998-09-20